[...] Es bleibt, je häufiger ich den Aufsatz bei der Vorbereitung des Textes für das Bernstein-Regal gelesen habe, ein Staunen – darüber, auf welche Kunstgriffe der beiden Dichter man stößt, während man die Texte miteinander vergleicht. Viele Parallelen gehen noch viel weiter, als ich es vor 20 Jahren geahnt und ausgeführt habe. Wie Faust seine Magie-Ergebenheit zur Gewinnung von Gretchen und Erlangung weiterer Ziele nutzt und wie Peer seinerseits sein Verhältnis zur Realität mit Lüge und Tagträumerei einsetzt, ließe sich noch genauer vergleichen. Dass beider Titelhelden Realitätsverlust bereits vor Beginn des Stückes beginnt (Faust hatte den Entschluss, sich der Magie zu ergeben, bereits vor Beginn seines Monologs in der Osternacht gefasst, und da Ibsens Drama mit Aases Vorwurf »Peer, du lügst!« beginnt, ist die Lüge offenbar schon ausgesprochen), ist eine weitere Gemeinsamkeit. Peer Gynt beginnt mit einem Widersprechen, Faust I endet mit einem solchen. Was ist Zufall, was kann nicht mehr Zufall sein?
Ein Staunen anderer Art stellt sich schließlich am Ende der Betrachtung ein: Dass beide Dramen augenfällige Gemeinsamkeiten aufweisen, nimmt man gern hin, findet es in der Regel auch wahlweise hübsch oder spannend – und gibt sich damit zufrieden. Erstaunlich wenige Untersuchungen in den Literaturwissenschaften beschäftigten sich bis 1993 mit dem Thema – und erstaunlich wenige taten dies nach 1993. Es blieb bei der gängigen Formulierung, Peer Gynt sei der »Faust des Nordens«, der »nordische Faust«, selten auch der »norwegische Faust« – schauen Sie einfach in das Programmheft der jüngsten deutschsprachigen Peer Gynt-Inszenierung, die Sie besuchten, eine der Formulierungen ist mit ziemlicher Sicherheit dabei. Und genau dieser oberflächliche Vergleich führt in die Irre. Peer Gynt als »nordischen Faust« zu bezeichnen, ist so etwa die größte Beleidigung der Menschen in Nordeuropa, die man sich vorstellen kann: So machen es also die Männer in Nordeuropa, wenn sie auf Sinnsuche sind, einen Pakt mit dem Teufel schließen und eine Frau ins Unglück stürzen! Der umgekehrte Schluss lässt die Angelegenheit für die Deutschen nicht schmeichelhafter aussehen: Faust als deutscher Peer Gynt? Der deutsche Peer Gynt denkt zu viel. Der Scharlatan in Deutschland, der auf Sinnsuche ist, ist promoviert. Es irrt der Mensch, so lang er strebt? Dann soll der deutsche Peer doch einfach mit dem Streben aufhören! So weit kommt man, wenn man an der Oberfläche bleibt. Wenn man in die Tiefe geht, kommt man weiter. [...]
Stimme zur Untersuchung
»Er konnte seine einschlägige Kenntnis des Faust in herausragender Art und Weise nutzen. Das Thema war Gegenstand einer Reihe Arbeiten in der internationalen Ibsen-Forschung [...], und diese Untersuchungen hat Brömmling mit feinem kritischem Gespür betrachtet. Er hat darüber hinaus Parallelen entdeckt, auf die niemand zuvor aufmerksam geworden ist, was äußerst verdienstvoll ist.« → [Asbjørn Aarseth, Bergen]